Daß ich nicht gerade ein Fan der Auswüchse des Web2.0 bin, vom Bloggen mal abgesehen, sollte bekannt sein. Daß mir gerade dieses Web auch noch immer neue Gründe liefert, ist nicht nur kurios, sondern v.a. ihm immanent. Daß Spiegel-Online jetzt schon vom Web3.0 palavert, geschenkt. Gut, also so geschenkt jetzt auch wieder nicht, da der Shift vom Mitmachweb (2.0; Blogs, Socialnetworking etc.) zum Konfrontationsweb (3.0; Unternehmen, Konzerne, Firmen) mal wieder den Menschen zum Kunden macht, nur werden sich die Älteren unter uns fragen, wann war das schon mal anders und ist dieser Schritt nicht schon vor Generationen vollzogen worden? Für Adorno waren schließlich Radio und Kino nichts anderes als die totale Kommodifizierung der Kultur und also des Menschen, da sie ihn mit dem Immerselben ohne Spontaneität, also Möglichkeit der Teilhabe, konfrontierten. Bei Adorno liest sich das aufs Radio bezogen dann so:
"Chesterfield ist bloß die Zigarette der Nation, das Radio aber ihr Sprachrohr. In der totalen Hereinziehung der Kulturprodukte in die Warensphäre verzichtet das Radio überhaupt darauf, seine Kulturproduket selber als Waren an den Mann zu bringen. Es erhebt in Amerika keine Gebühren vom Publikum. Dadurch gewinnt es die trügerische Form desinteressierter, überparteilicher Autorität, die für den Faschismus wie gegossen ist. Dort wird das Radio zum Maul des Führers (...). Das menschliche Wort absolut zu setzen, das falsche Gebot, ist die immanente Tendenz des Radios. Empfehlung wird zum Befehl." (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 2000, S. 168)
Mal abgesehen davon, daß der Rekurs auf Amerika kein antiamerikansicher Impuls ist, sondern hier die beiden Realitäten formuliert werden, die Adorno (und Horkheimer) zur Formulierung ihrer These(n) der Kulturindustrie veranlassten: das nationalsozialistische Deutschland und das kapitalistische Amerika der 1930er und 40er, ist hier v.a. der Umgang mit dem Kunden respektive Empfänger interessant. Das Radio, der Fernseher, das Internet als Lautsprecher des/der Herrschenden, sei es der autoritäre Führer oder die kapitalistische Herrschaft, die befreit von personalisierten, dauerhaften Herrschern* komplette Kontrolle fordert und fördert.
Was kann man daraus jetzt für die Debatte um das Web3.0 lernen bzw wo liegen dann die Unterschiede zwischen Web2.0 und dem Nachfolgemodell? Das Web2.0 wird wie oben bereits erwähnt wegne der Möglichkeiten unreglementierter Teilhabe auch als Mitmachweb bezeichnet/imaginiert. Wie unreglementiert und wie einfach die Teilhabe sind, lässt sich allein an der Tatsache, daß ein eigener Computer plus Internetzugang, sei es per Modem oder Breitband, Vorrausetzung ist oder zumindest der Zugang zu den technischen Voraussetzungen, an Hochschulen,in Bibliotheken, Internetcafes, Waschsalons,
Telefonzellen/
Telestationen oder per
100$-Laptop. Daß allein die technischen Bedingungen schon zwei Klassen von Menschen schaffen, nämlich die der Onliner und die der Offliner, ist ebenso wie die "klassischeren" Ausgrenzungsmechanismen (Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität, Religion, traditionelle Klasse etc) bei der Auseinadersetzung ums Web3.0 nebensächlich. Das Web3.0 zielt ausschließlich auf eine "Diskriminierung" innerhalb der klassisch privilegierteren Onliner (westlich, männlich/weiblich, Religion, Klasse, Sexualität, Hautfarbe egal), denn es soll ein neben dem klassischen Datenhighway ein zweiter Superhighway gebaut werden, dessen Zugang ausschließlich zahlungskräftigen Kunden offen stehen soll, den eingangs erwähnten kommerziellen Anbietern von Webinhalten. Somit würde der momentane Highway zu einem langsamen und holprigen Datenfeldweg, der "den Abschied vom Netzt der Gleichen" bedeuten würde, da die Net Neutrality nicht mehr gewährleistet wäre. Net Neutrality bedeutet, daß alle "Daten frei und unter gleichen Bedingungen" fliessen, egal, ob sie von einem unbedeutenden Blogger oder von einer großen Company kommen. Das Web3.0 würde das Gleichgewicht der Informationen nun verschieben, wer die Maut für die schicke neue Autobahn zahlt, ist schnell am Ziel. Wer nciht muß eben einenUmweg auf langsameren Landstraßen fahren. Das Fazit bei Speigel-Online lautet: "Das ist Survival of the Fittest, wie man es sich wünscht. (Web2.0) Was die Telkos offenbar weltweit planen (Web3.0) wäre dagegen Survival of the Richest." (Ergänzungen von mir) (vgl.
Spiegel-Online)
Darüber, wie es zur Idee vom Web3.0 kam, möchte ich hier nicht spekulieren, ob's 'ne Schnapsidee war, wie Spiegel-Online impliziert? Egal!
Daß ich die Argumentation von Spiegel-Online zusammen mit dem klassenkämpferischen Gestus nicht ganz ernst nehmen kann, sollte klar geworden sein. Was mich allerdings so richtig nervt ist, daß in der Vorstellungswelt des zuständigen Spiegel-Online-Schreibers die Vorstellung des freien, lustig-spontanen Web2.0 rumgeistert, in dem sich jede/r unbehelligt von kommerziellen Interessen austoben kann. Geht's noch? Für jedes verkackte Spiegledossier bezahlt man zwischen 0,50 und 2,00€, dann ist die Seite mit Werbung vollgeschissen, zudem wird sie im Aufbau gebremst, damit man noch mehr Zeit damit verbringt Werbung zu sehen. Apropos, in letzter Zeit schon mal ins GMX-, Web- oder Yahoo-Postfach geschaut?
Über die Funktion der Werbung erspare ich Euch und mir jetzt einen Exkurs zu Adorno. Auf das eigentliche Anliegen dieses Posts, nämlich Computersicherheit im Zeitalter von Myspace, also des klassischen Web2.0, werde ich demnächst nochmal eingehen.
Zur angeblichen Unschuld des Web2.0 rufe ich mit Adorno SpOn und den anderen Adepten des quietschebunten Mitmachwebs zu: "Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig." (ebd, S. 149) "Nicht also daß die Kulturindustrie Amusement aufwartet, macht den Betrug aus, sondern daß sie durch geschäftstüchtige Befangenheit in den ideologischen Clichés der sich selbst liquidierenden Kultur den Spaß verdirbt." (ebd, S. 151) und schließlich
"Vergnügtsein heißt Einverstandensein. Es ist möglich nur, indem es sich gegenüber dem Ganzen des gesellschaftlichen Prozesses abdichtet, dumm macht und von Anbeginn den unentrinnbaren Anspruch jedes Werkes, selbst des nichtigsten, widersinnig preisgibt: in seiner Beschränkung das Ganze zu reflektieren. Vergnügen heißt allemal: nicht daran denken müssen, das Leiden vergessen, noch wo es gezeigt wird. Ohnmacht liegt ihm zu Grunde. Es ist in der Tat Flucht, aber nicht, wie es behauptet, Flucht vor der schlechten Realität, sondern vor dem letzten Gednaken an Widerstand, den jene noch übriggelassen hat." (ebd, S. 153)
*
egal wie widerlich oder neidinduzierend Ackermann und co auch sind, als Potentaten treten sie nur so lange auf wie sie systematisch wichtig sind. Durch ihren Abtritt oder besser ihr Abgetretenwerden, sehr beliebt ist hier der Korruptionsvorwurf, ändert sich am Gefüge der Macht wenig, was so für entfernte Diktatoren nicht gilt (siehe das Ende der Diktaturen in Portugal oder Spanien, nach den gesundheitsbedingten Ausstiegen von Salazar oder Franco).